Barron_Interview

Robert Barron und
Josef Pieper


von Berthold Wald

Als Robert Barron vor Jahren nach einer guten Einführung in die Philosophie gefragt wurde, nennt er zuerst ein Buch von Robert Sokolowski: The God of Faith & Reason. Father Sokolowski, in Leuven mit einer Arbeit über Husserl bei dem Gründer des Husserl-Archivs promoviert, war Barrons philosophischer Lehrer an der Catholic University of America in Washington, D. C. Gleich im Anschluß folgt der Hinweis auf Josef Pieper. Barron empfiehlt, sich „alles von ihm“ zu besorgen, insbesondere seine Bücher über die Tugenden („The Four Cardinal Virtues“ und „faith – hope – love“), dazu noch Piepers „The Silence of St. Thomas“. Der Hinweis auf dieses Buch ist schon für sich genommen bedeutsam. Es vereinigt (nur in der amerikanischen Ausgabe) drei geniale Studien Piepers, die Thomas‘ Sicht der Wirklichkeit vor dem Hintergrund der philosophischen Situation der Gegenwart erschließen. Es folgt bei Barron der Hinweis auf einen weiteren Klassiker zu Thomas: „Aquinas“, von dem britischen Philosophiehistoriker F. C. Copleston. Die weiteren Empfehlungen gelten der „Nikomachischen Ethik“ des Aristoteles, den Platonischen Dialogen und der neuen Grundlegung der Metaphysik bei Thomas in „De ente et essentia“. Drei von acht grundlegenden Orientierungsschriften sind von Josef Pieper! (Hier der Link zu den Buchempfehlungen.)

Robert Barron zu Thomas von Aquin

Schon diese Fokussierung auf Pieper und Thomas zeigt, daß Barron als akademischer Lehrer wie kein anderer Preisträger zuvor mit dem Werk von Josef Pieper eng verbunden ist. Dabei repräsentieren die bisherigen Preisträger jeweils bestimmte Schwerpunkte im Werk von Josef Pieper:
– Der kanadische Philosoph Charles Taylor (2004) Piepers Kritik an der Kulturphilosophie der Moderne,
– der französische Mediävist Remi Brague (2009) Piepers Vergegenwärtigung der Idee des christlichen Abendlands,
– der philosophische Schriftsteller Rüdiger Safranski (2014) Piepers Interesse an großen Gestalten der Philosophie und Literatur, und
– die Religionsphilosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz (2019) den aktuell notwendigen Einspruch  gegen die Entkonkretisierung einer von Pieper erneuerten Sicht der christlichen Anthropologie.
Bischof Robert Barron wird den Pieper-Preis erhalten für seine unübersehbare Affinität zur Religionsphilosophie Piepers mit Schwerpunkt auf den Bedingungen und Schwierigkeiten der konkreten Grundlegung und Weitergabe des Glaubens heute. Diese Intention, in der faktisch schon lange bestehenden Missionssituation einen von Einsicht getragenen Zugang zum unverkürzt katholischen Bekenntnis des Glaubens wiederherzustellen, liegt dem Gesamtwerk von Josef Pieper zugrunde.

Programmatischer Ausdruck dieser Grundeinstellung Piepers sind seine „Bemerkungen über die Missionssituation der Kirche in Deutschland“ (1935).  Und eben diese Intention soll durch die Preisverleihung an Bischof Dr. Robert Barron in den Focus der Aufmerksamkeit gerückt werden mit Blick auf die Situation heute. Pieper nutzte stets alle zur Verfügung stehenden publizistischen Mittel, beginnend mit seiner leitenden Mitarbeit am „Institut für neuzeitliche Volksbildungsarbeit Dortmund“ (1932-1940). So bittet er Hans Urs von Balthasar 1934 um einen Beitrag für diesen „Kreis von zumeist jungen Katholiken, die sich, kurz und etwas anspruchsvoll gesagt, die Aufgabe gesetzt haben, an der Christianisierung Deutschlands mitzuarbeiten, vor allem durch systematisch geplante Veröffentlichungen.“ Der rechtzeitig zur Preisverleihung vorliegende Briefwechsel zwischen Pieper und Balthasar (im Johannes Verlag) wird darüber ganz neuen Aufschluß geben.

Die „Christenfibel“, die „Thomasfibel“ und „Über das christliche Menschenbild“ (alle 1936) gehören in diesen Kontext und verschaffen Pieper in Deutschland eine Öffentlichkeit, die sich nach 1945, mit Beginn seiner universitären Lehrtätigkeit, auch international stark ausweiten wird. Das Spektrum seiner Beiträge zur Religionsphilosophie füllt einen ganzen Band der Werkeausgabe (Band 7). Hinzukommen zahlreiche Medienproduktionen in Funk und Fernsehen und auf den damals zur Verfügung stehenden Ton- und Bildträgern, vor allem im Bereich von Glauben und Denken und das stets mit konkreter Aktualität. In den siebziger Jahren äußert sich Pieper als Philosoph und als Laie immer wieder in „notgedrungenen Klärungsversuchen“ zu den von einer fortschreitenden Entsakralisierung bedrohten Substanz des kirchlichen Lebens. Dabei geht es ihm nie um die polemische Attacke auf Personen, sondern allein um Klarheit in der Sache.

Robert Barron zu Josef Pieper

Wer Robert Barron sieht und hört, gleich worüber er spricht, bemerkt sofort dieselbe Prätentionslosigkeit und schöpferische Originalität, frei von Polemik und direkt auf die Sache gerichtet. Und er wird bemerken, dass er Barron mühelos folgen kann, wenn dieser beispielsweise in seinen Kommentaren zum Evangelium des Tages, in nur wenigen Sätzen, den Sinn dieser Texte von ihrem geschichtlichen und theologischen Kontext her zu deuten versteht auf das hin, was jeden unmittelbar angeht und berühren kann. Klarheit herzustellen ohne Reduktion, im Durchhalten der vollen Komplexität, ist ein Kennzeichen geistiger Exzellenz. Das gelingt nur ganz wenigen wie etwa einem Augustinus und einem Thomas von Aquin. Robert Barron ist einer von ihnen. Sein ganzes theologisches Denken und Handeln steht unter der Prämisse, die Befangenheit und Engführung einer liberalen Theologie zu überwinden, unbeeindruckt von aller Polemik und ganz ohne Sehnsucht nach einer Rückkehr vor das Zweite Vatikanische Konzil. Aufgewachsen in einer Kirche, die mit sich selbst im Streit liegt über Fragen der Sexualität und Autorität, vertraut er auf das Licht und die Leuchtkraft des Glaubens von seiner Mitte her: dem Selbstzeugnis des Vaters in seinem Sohn Jesus Christus, wie es durch die Zeit hindurch Gestalt angenommen hat und im Leben und Denken der Kirche bezeugt worden ist. Diesem Bild Gottes und des Menschen gilt das inzwischen weltweit beachtete Medienapostulat von Bischof Robert Barron. Es soll den Glauben der Kirche von seinen biblischen Wurzeln und der großen theologisch-philosophisch-literarischen Überlieferung her ansprechend machen für alle Suchenden „unter den Bedingungen von Gegenwart und Zukunft“, wie es in der Stiftungsurkunde der Josef-Pieper-Stiftung heißt, und das bedeutet: ohne Abstriche – auch in der Situation kirchlicher Verfehlung und Schuld.      

Prof Dr. Berthold Wald ist Vorstand der Josef-Pieper-Stiftung und Herausgeber der Werkeausgabe von Josef Pieper  

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